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Wo Staub einfach Staub bleibt und ein Gefühl von Gemeinschaft und Zeitlosigkeit Gold wert ist.
Durchgeruckelt von der Fahrt auf der schotterigen Piste, Hintern platt gesessen, eine zentimeterdicke Dreckschicht auf unserem Jeep. Wir wussten, dass wir unser Ziel in der Wüste erreicht hatten: Tankwa Town.
Dort fand auch dieses Jahr das Festival der etwas anderen Art statt, nämlich AfrikaBurn, auch bekannt als der kleine Bruder des aus den USA bekannten Burning Mans. Eine Mischung aus Kunstausstellung, Musikmarathon, Abenteuerurlaub und Spielplatz für Hedonisten. Gebuchte Bands oder DJs gibt es nicht und das Programm organisieren die Besucher ebenfalls selbst.
Alle vier waren wir „AfrikaBurn-Ersties“ und auch sonst keine erfahrenen Festivalgänger. Im Grunde war uns nicht klar, worauf wir uns eigentlich einließen. Nach dem Motto „Wenn es wirklich sehr schlimm ist, fahren wir einfach wieder heim“ stürzten wir uns ins staubige Wüstenabenteuer.
Welcome to the real World: Tankwa Town in der Karoo
© Bild:Philipp Menn
Rein in den Dreck
Gleich an der Einfahrt zum AfrikaBurn-Gelände stürmten zwei wild bemalte und verkleidete Burnerinnen – wie sich die Teilnehmer des Festivals nennen – auf uns zu und forderten uns zum Aussteigen auf. Auch wir sollten das Willkommensritual absolivieren. Nach einer herzlich staubigen Umarmung der Burnerinnen, sollten wir mit kräftigem Gongschlag unsere Ankunft in der südafrikanischen Karoo-Wüste verkünden.
Dazu gehörte auch, dass wir uns im Sand wälzten. Verwundert schauten wir uns an: Im Sand wälzen? Da gibt es aber wirklich Schöneres. Einer von den Burnern reagierte sofort auf unsere skeptischen Blicke: „Ihr werdet doch eh dreckig, also keine falsche Scheu und rein in den Dreck.“ Überzeugt von dieser Aussage und weil die Tradition es so will, warf sich ein Freund auf den Boden, suhlte sich im Sand und war somit offiziell „getauft“.
Staub zu Staub, Pimp my Ride für AfrikaBurn
© Bild: Philipp Menn
Auch wenn es zum Ritual gehört, wir zwei Mädels wollten lieber auf natürliche Weise, durch Wind und Wetter, einstauben. Also machten wir uns im wahrsten Sinne des Wortes ganz schnell aus dem Staub. Das sollten wir auch, wenn wir noch vor Sonnenuntergang eine freie Stelle für unser Zeltlager finden wollten. Geschafft von der langen Fahrt und dem Zeitdruck, schnell einen Platz für Jeep und Zelt zu finden, kreisten wir orientierungslos um die bereits aufgebauten Camps. Die letzten Sonnenstrahlen ließen nicht lange auf sich warten, schenkten uns zwar einen wunderschönen Sonnenuntergang, aber damit leider auch den Einbruch der Dunkelheit.
Obwohl der Jeep sonst sehr gut ausgestattet war, ließ die Anzahl an Beleuchtungsmöglichkeiten wirklich zu wünschen übrig. Mit einer einzigen Taschenlampe und dem Licht unserer Handys klappten wir langsam und umständlich die zwei Zelte auf dem Dach des Jeeps auf. Vier blinde Maulwürfe bei der Arbeit. Danach musste der Kofferraum nach Gaskocher und Geschirr durchstöbert werden, damit wir uns unsere erste Wüstenmahlzeit kochen konnten. Kochen ist zwar übertrieben, aber da für den ein oder anderen bereits das Aufbacken einer Tiefkühlpizza kulinarischer Hochleistungssport ist, können unsere Pesto-Nudeln „al sehr dente“ definitiv dazugezählt werden.
Und ein wahrer Burner lässt sich von Lappalien wie Dunkelheit sowieso nicht unterkriegen. Gestärkt und im Zwiebellook warm angezogen machten wir zu später Stunde auf in die pechschwarze Nacht. Das Vorhaben, sich zu diesem Zeitpunkt noch einen Überblick zu verschaffen, war nicht sonderlich sinnvoll. Aber nach dem ein oder anderen Bier erscheint einem vieles logischer als es eigentlich ist. Somit liefen wir los, ohne genau zu wissen, wie wir wieder zurückfinden würden. Probleme werden aber erst dann gelöst, wenn sie wirklich eingetroffen sind. Und los ging’s.
Taxis in der Wüste
Beeindruckt von den selbstgebauten Kunstwerken aus Holz und Metall zogen wir durch die Gegend, hielten mal hier, mal dort. Überall blinkten kunterbunte Lichter und erhellten die Nacht. Menschen mit allerlei verrückten Kostümen tanzten und feierten. Wir mittendrin, euphorisiert von den außergewöhnlichen Eindrücken.
Da wir großzügig mit anderen Burnern geteilt hatten, ging uns schon nach kurzer Zeit das Bier aus. Unser Durst führte uns zurück zum Zelt, erstaunlicherweise sogar zum Richtigen. Plötzlich ertönte ein wiederholtes Hupen und ein ulkig aussehendes Gefährt mit Taxi-Aufschrift kam um die Ecke. Das Traummobil bestand aus einem alten Roller mit seitlichem Anhänger und ist mit einer gemütlich, gepolsterten Sitzbank aus zuckersüßem Herzchenstoff und einem Einhornkopf aus Plüsch aufgepeppt worden. Die beiden Insassen gehörten zu einem Camp, zu welchem auch eine fahrende Disko namens „Range Rover“ und dieses „Taxi“ gehörten.
Ehe wir uns versahen, saßen wir zu sechst und mit definitiv zu viel Übergewicht im Traummobil. Es ächzte und rauchte unter unserem Gewicht, aber nach zahlreichen Verschnaufpausen und einigen Umwegen (sieht ja alles gleich aus im Dunkeln) kamen wir am Range Rover an und stiegen von einem Gefährt auf das Nächste. Die Disko auf Rädern fuhr im sogenannten Binnekring, dem innersten Kreis in der Mitte des AfrikaBurn-Geländes, ihre Bahnen und hielt wie alles andere mal hier, mal dort, gabelte feierwütige Burner auf und ließ müde Burner in die dunkle Nacht davonziehen. Unser Fazit des ersten Abends: Afrikaburn, das kann ja in der Tat noch lustig werden...
Kreatur der Unterwasserwelt
© Bild: Philipp Menn
„Sharing is caring“
Nachdem die ganze Nacht aus diversen Richtungen Musik zu hören war, wachten wir im Morgengrauen mehr oder weniger ausgeschlafen auf. Einem von uns sind beinahe die Füße abgefroren, da ihm der Weg ins Zelt scheinbar zu schwer gefallen ist und seine Treter die ganze bitterkalte Nacht aus dem Zelt nach draußen gehangen hatten.
Wir setzten ihn zum Auftauen in die Sonne. Dank des Gaskochers und der guten Ausrüstung gab es sogar ein leckeres Katerfrühstück aus Rührei, Speck und einer Dose Bier zum Hinterherspülen. Der perfekte Start in den Tag. Kostümiert und mit flüssigem Proviant ausgestattet, gingen wir in Richtung des Binnekrings. Sich nun einen Überblick zu verschaffen war auch deutlich leichter als am Vorabend. Weit kamen wir trotzdem nicht, denn schon an der nächste Ecke wurden wir auf ein kleines Päuschen mit Schnäpschen eingeladen.
Einem geschenkten Gaul, schaut man bekanntlich nicht ins Maul, also kehrten wir ein. Auch das gehört zur AfrikaBurn-Tradition: Geben und im Gegenzug nichts dafür erwarten. Ein Modell, das in unserer Gesellschaft leider kaum mehr zu finden, in der einen Woche in Tankwa Town allerdings oberstes Gebot ist. Und selbst wenn man wollte, gäbe es gar nichts zu kaufen. Jeder bringt mit, was er braucht und wer möchte, kann etwas für die Gemeinschaft beisteuern.
Dadurch dass jeder so handelt, kommt es automatisch zu einer Art Austausch, denn man beschenkt sich gegenseitig. Egal wo wir hinliefen, hörten wir den Satz „Sharing is caring“. An einer Ecke stand eine Frau mit einem riesigem Topf voller köstlicher Suppe, an einer anderen hatten Burner eine Bar aufgebaut und verteilten Cocktails, andere boten eine entspannende Rückenmassage an, wer Lust auf einen Film hatte, ging ins Kino...es gab alles, was das Herz begehrt und das Mitten in der Wüste. Wer kann schon von sich behaupten, dass er an einem so abgelegenen Ort, fernab von jeglicher Zivilisation, direkt unter der Milchstrasse so viele Geschenke bekommen hat? Also ich nicht. So viel Selbstlosigkeit kann es doch nur in einer Traumwelt geben.
Goldene Zeit
Gerade dieses außergewöhnliche Gemeinschaftsgefühl und die positive Energie, die davon ausgeht, sind so beflügelnd und berauschend, dass Drogen gar nicht notwendig sind, um sich high zu fühlen. Wir wollten Spaß haben, lachen und unsere Freude teilen. Da es allen so ging, konnten wir uns einfach treiben lassen, ohne schief von der Seite angeguckt zu werden. Kurz nach Ankunft in Tankwa Town fragte meine Freundin ganz treffend, was wir jetzt fünf Tage lang in der Wüste machen würden und dass man doch etwas machen müsse, denn man könne ja nicht den ganzen Tag nichts tun.
© Bild: Philipp Menn
Aber genau das ist es. Man macht eigentlich nichts und gleichzeitig doch so viel. Man konzentriert sich auf sich selbst, befreit sich von äußeren Einflüssen und fühlt sich endlich wieder lebendig. Im Vordergrund stehen die Gemeinschaft, die Mitmenschen, simple Kommunikation durch Reden, Spaß am Leben und Freisein. Wenn das nicht belebend ist, was dann? Da kann kein Urlaub mithalten, bei dem das Handy auf dem Strandtuch liegt und man unbedingt pünktlich um 12 Uhr zurück zum Hotel will, um als erster am Buffet zu sein und ja nichts zu verpassen.
© Bild: Philipp Menn
Durch AfrikaBurn ist mir erneut bewusst geworden, wie abhängig wir uns selbst von so Vielem machen und wie befreiend es sein kann, nicht zu wissen, wie viel Uhr es ist. Einfach loszulaufen und den Instinkten zu folgen. Back to the roots! Der Sonnenuntergang war der einzig bedeutsame Zeitpunkt, denn keiner von uns wollte jeden Abend im Dunkeln essen, insbesondere bei mangelhaften Beleuchtungsmöglichkeiten. Hardcore-Campen musste dann doch nicht sein. Zwar wird immer behauptet, dass Zeit goldwert ist, aber wahrscheinlich ist das nur so, weil wir uns ständig vor Augen führen, wie uns die Zeit davon rennt. Wer dagegen gar nicht weiß, was die Uhr sagt, vergoldet sich seine Zeit ganz von selbst.
Was lernen wir also daraus? Alle Gegenstände, welche die Uhrzeit anzeigen, zu Hause lassen und die goldene Zeit genießen.
© Bild: Philipp Menn
Immer diese Hippies
Verständlich, wenn jetzt der Eindruck entsteht, das AfrikaBurn ein einziges Hippie-Festival ist. Irgendwie stimmt das auch, aber nicht auf eine „Uschi Obermaier Kommune 1“-Art. AfrikaBurn-Teilnehmer schätzen es, Teil einer großen Gemeinschaft zu sein und zu ihrem Wohl beizutragen. Das zeigt sich einerseits durch das Mitbringen von Geschenken, was den Rest angeht, ist „Moop“ das Stichwort. Nein, kein neues Modewort, sondern die Abkürzung für „Matter out of place“ und bedeutet, dass keine Spuren hinterlassen werden sollen. Alles, was in die Wüste mitgebracht wird, muss auch wieder mitgenommen werden. Auch ein AfrikaBurn-Prinzip.
Jede noch so kleine Erdnuss, jede Bierflasche, alles, was von Natur aus nicht in die Wüste gehört, darf dort auch nicht bleiben. Wie das gehen soll? Die Frage habe ich mir auch gestellt. Jeder, der bereits an Massenveranstaltungen wie Karneval, Konzerten oder Stadtfesten teilgenommen hat, weiß genau, welche fürchterlichen Zustände nach solchen Events herrschen. Es sieht meist so aus, als sei die Mühlabfuhr einmal über den Platz gefahren und habe ihren kompletten Inhalt darauf verteilt. Beinahe hätte ich sogar gewettet...und hätte haushoch verloren!
Am Ende der Woche sah es tatsächlich so aus, als hätte nie eine Party stattgefunden. Als hätten niemals fast 10 000 Menschen dort gecampt. Unglaublich, aber wahr. Natürlich waren wir selbst eingestaubt wie noch nie und die Plumpsklos rochen, wie nach einer Woche Festival mit 10.000 Mann zu erwarten ist, aber der Rest konnte sich wirklich sehen lassen. Wenn der Hippie von heute umweltbewusst, freiheitsliebend und gemeinschaftlich ist, dann bin ich gerne einer. Burner haben verstanden, dass jeder Schritt und jedes Handeln Spuren hinterlassen. Davon könnten sich viele Festival- und Konzertgänger eine große Scheibe abschneiden.
AfrikaBurn ist in der Tat ein Festival der etwas anderen Art. Eine eigene Welt, die sich die Burner in der einen Woche Ende April erschaffen und darin leben.
Eine Wunderwelt auf Zeit eben und der lebende Beweis dafür, dass Individualismus und Kollektiv nicht immer ein Gegensatz sind. AfrikaBurn ist eine Lebenserfahrung, die ich nicht vergesse und auch nicht missen will. Abenteuer und Selbst(er)findung, gepaart mit starkem Gemeinschafts- und Freiheitsgefühl...AfrikaBurn 2016, wir kommen.
Text von Anna Karolina Stock, Fotos von Philipp Menn
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