10 Fragen an Jugendkoordinatorin Sophia Zittel
Philippi ist ihr Zuhause
Wenn sie Leuten erzählt, dass sie in einem Township in Südafrika lebt erntet Sophia Zittel oft ungläubige Blicke. Viele können nicht nachvollziehen, warum es sie freiwillig in eine der gefährlichsten Gegenden des Landes zieht, aber Sophia hat im Township und bei der Arbeit mit iThemba Labantu, einem Gemeindezentrum in Philippi, ihr Zuhause gefunden.
1. Stell dich doch am besten unseren Lesern einmal vor. Wo kommst du her und was treibt dich nach Kapstadt?
Mein Name ist Sophia Zittel, ich bin 31 Jahre alt und komme aus dem kleinen Dorf Kirchzarten, in der Nähe von Freiburg gelegen. 2006 bin ich, nach dem Abitur, das erste Mal nach Südafrika geflogen, ursprünglich um meinen Freiwilligendienst vor dem Studium in Deutschland zu machen. Ich habe bei Themba Labantu in Philippi angefangen und ziemlich schnell innerlich gemerkt, dass das hier genau der richtige Ort und die richtige Aufgabe für mich ist. Nach 10 Monaten bin ich wieder zurück nach Deutschland gefahren, aber eigentlich nur, um meine Sachen zu packen und dann dauerhaft nach Südafrika zu ziehen. Hier habe ich dann anfangs in Teilzeit Sozialarbeit studiert und nebenbei bei Themba Labantu gearbeitet. Heute arbeite ich hier als Jugendkoordinatorin und Sozialarbeiterin.
2. Kannst du eure Einrichtung Themba Labantu und deine Rolle einmal genauer beschreiben? Wie genau helft ihr den Kindern?
Themba Labantu, was auf Xhosa „Hoffnung für die Menschen heißt“ ist ein Gemeindezentrum im Township Philippi bei Kapstadt. Mein Bereich ist die Kinder- und Jugendarbeit. Wir bieten den Kindern unter anderem Hausaufgabenbetreuung, Nachmittagsprogramme und soziale Betreuung. Die Kinder kommen im Kindergartenalter zu uns und wir schicken sie, unterstützt durch überwiegend deutsche Patenschaften auf englischsprachige Schulen. Nachmittags kommen sie dann wieder zu uns zur Hausaufgabenbetreuung. Ziel ist, dass wir mit den Kindern Beziehungen aufbauen, wenn sie jung sind und sie bis ins junge Erwachsenenalter begleiten, damit sie dann in stabile Jobs oder ins Studium entlassen werden können. Wir versuchen damit den Kreislauf der Armut zu durchbrechen. Deshalb bieten wir auch Skill- Development Programme an, bei denen wir junge Erwachsene zu Klempnern und Automechanikern ausbilden. Außerdem geben wir Computerkurse. Das ist der eine Aspekt und der andere sind die Kinder, die einfach nachmittags zum Sport oder zu anderen Aktivitäten zu uns kommen. Philippi hat die höchste Mordrate des Landes. Ziel ist es den Kindern etwas anzubieten, was Ihnen Spaß macht und ihnen das Gefühl zu geben, dass sie bei uns ein zweites Zuhause haben, in dem sie sich geliebt- und angenommen fühlen und sich entfalten können.
3. Wie finanziert sich das Projekt? Wie kann man eine Patenschaft übernehmen?
Wir finanzieren uns überwiegend durch Spenden, aber wir haben auch Einkommen schaffende Projekte, wie zum Beispiel unsere Perlenarbeit, Näh- und Keramikprojekte für die wir auch immer wieder nach Abnehmern suchen. Um eine Patenschaft bei uns zu übernehmen, wendet man sich am besten direkt an unseren Förderverein in München, der verwaltet unsere Patenschaften finanziell, oder auch online über unsere Webseite.
4. Du hast eine lange Zeit in Gugulethu gelebt, einem Township. Nicht unbedingt das Standartwohnviertel für jemanden, der aus dem Ausland nach Südafrika kommt. Wie kam es dazu?
Dadurch, dass ich immer dort gearbeitet - und auch am Wochenende oft meine Zeit mit Freunden dort verbracht habe, wollte irgendwann herziehen, um besser verstehen zu können, was es für die Menschen wirklich bedeutet im Township zu leben. Und dann hat es mir so gut gefallen, dass ich geblieben bin. Es ist zwar nicht unbedingt sicher, aber die Menschen hier sind sehr offen und herzlich. Das Entscheidende ist, dass man weiß, wie man sich bewegt, dass man achtsam ist und auf manche Regeln achtet wie: Gruppen von Jungs lieber vermeiden, lieber etwas zu schnell fahren und nachts nicht an der Ampel anhalten. Die Leute hier finden es zum Teil selbst komisch, dass ich im Township lebe, aber sie haben immer versucht dafür zu sorgen, dass mir nichts passiert und mich beschützt.
5. Wie kann man sich das Leben im Township vorstellen?
Die Menschen im Township führen ein extrem hartes Leben. Es finden sich hier alle Probleme, von Missbrauch, über Vergewaltigungen, Mord und Armut in einer Familie versammelt. Gleichzeitig sind sie aber glücklicher. Und das war auch ein Grund, der mich neben meiner Arbeit dazu bewogen hat in Südafrika zu bleiben. Die Leute sind freier. Sie lachen mehr. Sie leben mehr im Moment und unterstützen sich gegenseitig. Es ist zwar kein Geld da, aber es kommen doch alle irgendwie durch. Was extrem erstaunlich ist. Außerdem herrscht hier ein extremes Gottvertrauen. Das finde ich sehr bewundernswert. Wenn zum Beispiel jemand aus der Community stirbt, werden von dem Zeitpunkt an bis zur Beerdigung jeden Abend Gebetsstunden abgehalten, an denen die Familie und alle Community Mitglieder teilnehmen. Es ist sehr wichtig, dass man dort erscheint. Im Township gibt eine unglaubliche Anteilnahme und Zusammenhalt.
6. Eine Aussage, die ich in Südafrika immer wieder zu hören bekommen habe ist: „Ein Menschenleben ist hier nichts wert.“ Wie stehst du dazu?
Ich denke sie ist wahr, leider. Du hörst hier jeden Tag Geschichten von Gewalt von Leuten, die du kennst und du erlebst es selber. Das Problem, vor allem im Township ist, dass das Rechtssystem nicht funktioniert. Hier in Philippi gibt es deshalb mittlerweile das wachsende Problem von Mob-Justice, also Lynchjustiz. Vor zwei Monaten wurden um das Centre herum 3 Menschen durch Mob- Justice umgebracht. Je länger ich hier lebe, und man muss ganz vorsichtig sein mit so einer Aussage, aber umso mehr kann ich es verstehen. Man stumpft ab. Es ist nicht richtig, es ist falsch, es ist erschreckend, aber die Polizei hat keine Kontrolle. Meine Jugendlichen im Centre, die vorher „Gangster“ waren haben keine Angst vor der Polizei, aber sie haben Angst vor der Community, weil sie wissen, wenn die sie in die Hände bekommen, dann ist es vorbei. Das Einzige was demnach funktioniert ist Mob-Justice oder die Taxi-Driver (Anm. Die Minibusfahrer), die auch Ordnung schaffen.
7. Hast du in den letzten Jahren Veränderungen in den Townships mitbekommen? Positiv sowie negativ?
Leute fragen mich oft, bist du nicht frustriert? Oder wie hältst du das aus? Ich würde nicht sagen, dass es unbedingt schlimmer geworden, ich weiß auch nicht ob es besser geworden ist. Wie ich, oder wir uns weiterhin motivieren für unsere Arbeit, ist, dass wir uns auf den Einzelnen fokussieren. Wir haben hier 300 Kinder, die jeden Tag zu uns kommen. 300 Kinder, die bei uns wirklich wieder Kind sein können. Jedes dieser Kinder soll sich glücklich, geschützt und sicher fühlen.
Es gibt außerdem viele NGOs, die sich im Township engagieren, einzelne Personen, die versuchen etwas zu verändern und ich denke durchaus auch, dass die Regierung versucht etwas zu machen. Man sieht sie bauen Schulen, sie bauen Häuser. Es ist nicht alles schlecht, auch wenn Korruption immer noch ein Problem ist.
Das Schöne an den Townships, und auch allgemein in Südafrika ist, dass hier wahnsinnig viel Potenzial besteht und du noch die Freiheit hast zu entwickeln. Es gibt lauter junge Menschen, die einfach nur ein bisschen Unterstützung brauchen, um ihren Weg zu gehen. Für mich ist Südafrikas Zukunft positiv.
8. Was können Deutsche deiner Meinung nach von Südafrikanern lernen und andersherum?
Deutsche können von Südafrikanern vor allem lernen, zu leben. Die Stärke von Südafrikanern, gerade aus den Townships, ist, dass sie freier sind und im Moment leben. Sie lachen, sie halten zusammen, sie unterstützen sich gegenseitig.
Was Südafrikaner von den Deutschen lernen können, ist mehr zu planen. An Deutschland bewundere ich immer noch die ganzen Sicherheitssysteme, von Krankenversicherung bis zu Sozialversicherung. Es kann dir in Deutschland nichts passieren. Außerdem muss ein besseres Bildungssystem her, das nichts kostet und das zweigliedrige Ausbildungssystem. Ein Lehrsystem, wo man während der Schule nebenbei schon Geld verdient. Das ist, was Südafrika braucht.
9. Was macht Kapstadt für dich so einzigartig?
Die Vielfalt. Die unterschiedlichen Kulturen, das ist wahnsinnig spannend. Vor allem die Xhosa- Kultur ist sehr faszinierend. Und der Klassiker: die Landschaften. Auf der einen Seite hast du die Stadt und innerhalb von 5 Minuten bist du auf den Tafelberg, mitten in der Natur. Es ist eine entspannte Stadt.
10. Wo ist dein Hotspot in Kapstadt?
Am besten fühle ich mich tatsächlich im Centre. Es ist mein Zuhause. Es gibt natürlich Tausende schöne Ort in und um Kapstadt, aber das Centre ist mein Zuhause und hier gehöre ich hin.
von Celia Parbey
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