Wir reden mit dem Fotografen aus Kapstadt über seine Arbeiten und Reisen
Zäune überall
Kapstadt zeigt eindrucksvoll, wie verrückt wir Menschen doch alle sein können
Am Zaun endet das Leben? Von wegen, beim Thema Zaun wird die Diskussion erst richtig lebhaft: Tumultartige Stimmung, dort hinten besorgte Mütter, die um ihre spielende Kinder auf der Straße bangen, die doch jederzeit entführt werden könnten. Da in der ersten Reihe der Mercedes-Fahrer, denn auch sein Schätzchen könnte einer Entführung zum Opfer fallen und dann noch die Paranoiden, die in jedem Straßenverkäufer, der auf sie zukommt schon eine Gefahr sehen. Viele Stimmen, viel Gezetere, allerhand Zaungäste und alles Mögliche an abschreckenden Argumenten.
Wir alle leben in einer fantastischen Stadt, finden uns aber in einer sehr bizarren Gesellschaft wieder. Bizarr genau deswegen, weil sich die eine Hälfte der Einwohner von Kapstadt, ihr Leben, ihren Besitz und sich selbst, eingemauert und eingezäunt und eine Grenze zwischen sich und den anderen Mitbürgern gezogen hat. Sie ziehen eine sichtbare Linie: "Bis hierher, aber keinen Schritt weiter!" - mit Gittern, Elektrozäunen und Überwachungskameras.
Und mancherorts kann man es noch erleben, wie um die malerische viktorianische Villa plötzlich eine hochmoderne Grenzanlage gezogen wird. Zuerst erhält das Mäuerchen ein Upgrade auf eine mannshohe Mauer. Die Klingel wird durch eine Hightechanlage mit Fingerabdruckscanner und das schmiedeeiserne Tor durch eine solide Eisentür ersetzt. Obenauf werden noch mehrere Reihen Stacheldraht gezogen und das riesige neongrelle Schild an die Mauer geschraubt. Von dem Haus ist dann nichts mehr zu sehen und plötzlich sind auch die Bewohner in diesem Gefängnis verschwunden.
Die andere Hälfte der Einwohner, die noch zu sehen ist, jedoch hat gar nicht die Mittel oder den Nerv sich mit solchen Dingen auseinanderzusetzen. Für sie gibt es ganz andere Prioritäten: "Wie zum Teufel ermögliche ich meiner Tochter zum Beispiel auf die Universität zu gehen, wie kommt meine Familie warm und gut durch den Winter, und was kommt eigentlich morgen zum Essen auf den Tisch?"
Am Zaun endet das Leben? Ja, und zwar das Zusammenleben! Denn die Abgrenzung trägt zur weiteren Entfernung der Gesellschaft bei, plötzlich sind es wieder die da oben, auf die man wutvoll schaut, und die da unten, die man ängstlich betrachtet. Wie fantastisch, ich kann uns allen nur zu dieser grandiosen Entwicklung, unserem Egoismus und unserer Paranoia gratulieren!
Aber mal im Ernst jetzt, haben wir eigentlich noch alle Latten am Zaun?
von Julian Friesinger
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