Wir reden mit dem Fotografen aus Kapstadt über seine Arbeiten und Reisen
Kapstadt mit Wanderlust entdecken
Die Stadtführung zu Fuß mit der erfahrenen Stadtführerin Ursula Stevens, die dir die versteckten Ecken von Kapstadt zeigt
Ursula Stevens gehört zu den Menschen, denen man stundenlang zuhören kann, ohne sich auch nur eine Sekunde zu langweilen. Die gebürtige Deutsche mit südafrikanischen Wurzeln lebt seit über 50 Jahren in Kapstadt. Vor über zwanzig Jahren hat sie aus der Not heraus, ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht, und ist auch heute noch mit großem Eifer dabei. Aus den anfangs geführten Wanderungen auf den Tafelberg wurden Stadtführungen zu Fuß durch die Innenstadt, die sie auf Englisch, Deutsch und Französisch anbietet.
Klar, gibt es viele Möglichkeiten, eine Stadt zu entdecken, und auch Stadtführer gibt es wie Sand am Meer. Mit Ursula aber sieht man das, was den meisten verborgen bleibt, und ihre Liebe und Begeisterung für Kapstadt sind in jedem Wort zu spüren. Diese Leidenschaft hat ihr auch ein 2014 Certificate of Excellence auf TripAdvisor eingebracht. Neben geschichtlichem Hintergrund und interessanten Fakten hat sie stets eine unterhaltsame Story zu den verschiedenen Plätzen, Gebäuden und Personen parat.
Ihre besondere Liebe gilt dem Bo-Kaap, dem farbenfrohen Viertel in den Hängen des Signal Hills, und so zeigt sie Besuchern dort die versteckten Ecken, Straßenkunst und andere Schätze, an denen ein Ortsunkundiger blind vorbeilaufen würde. Sie hat auch gleich mehrere Bücher auf Englisch und Deutsch über Kapstadt, das Bo-Kaap, das Kap der Guten Hoffnung, die Garden Route, die West Coast und die Cape Winelands geschrieben.
Ursula weiß wirklich, wovon sie spricht, und ist ein wunderbares Beispiel dafür, dass man auch im Alter noch voller Elan bei der Sache sein kann. Wer ihre Lebensgeschichte kennt, der versteht, woher diese Abenteuerlust kommt. Deshalb haben wir uns mit der Kapstädterin auf einen Kaffee getroffen und sie hat uns ihre Geschichte erzählt. Wie gesagt, man könnte dieser Frau ewig zuhören, denn auch ihr eigenes Leben ist ein unglaubliches Abenteuer.
„Ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen, aber meine Familie mütterlicherseits stammt aus Kapstadt und Namibia. So stehe ich also seit 150 Jahren bereits mit einem Bein in Südafrika und mit dem anderen in Deutschland. Meine Mutter hatte immer schreckliches Heimweh und so hat sie mir kaum etwas von Rotkäppchen erzählt, sondern immer nur Geschichten über Löwen und Elefanten. Ich habe noch drei Brüder, aber ich bin die Einzige, die diese Verbindung gespürt hat.
Als ich älter war, wollte ich in Deutschland Englisch studieren und auch nach Südafrika gehen. Mein Vater wollte mich nicht so recht gehen lassen, aber ich hatte durchgerungen, dass ich zunächst zur Ausbildung gehen durfte. Er hatte wohl die Ahnung, wenn ich einmal gehe, komme ich auch nicht wieder. Er hatte ja auch recht.
Und so reiste ich alleine nach Südafrika, um Englisch zu lernen und meine Familie dort kennenzulernen. Nach sechs Monaten sollte ich dann wieder nach Hause kommen, aber die waren schnell vorbei. In der Zwischenzeit hatte ich meine Großmutter in Namibia kennengelernt und auch den Rest der Familie. Um Englisch zu lernen, habe ich bei meinem Vetter in einem Juwelierladen in Johannesburg gearbeitet. Ich bin auch auf eine Benimmschule gegangen, wo ich Etikette, Stenografie und dergleichen gelernt habe, und ich habe es einfach nur gehasst. Da wusste ich schon, dass ich diese Art von Arbeit nicht machen möchte. Ich wollte grundsätzlich nicht nach Deutschland zurück.
Da mir mein Vater sehr verständlich gemacht hat, dass es keine finanziellen Zuschüsse geben würde, wenn ich nicht nach Hause käme, musste ich mir einen Plan überlegen. Und so habe ich dann bei einer Firma in Kapstadt schwarzgearbeitet. Ich habe nämlich nur den deutschen Pass. Leider waren die Gesetze damals noch so, dass ich keine doppelte Staatsbürgerschaft beantragen konnte und meinen deutschen Pass wollte ich nicht verlieren.
Ich sah dann in einem Zeitungsartikel, dass die westdeutsche Regierung ein Stipendium für einen Studentenaustausch anbot. Ich bewarb mich auch gleich und wurde akzeptiert. Mittlerweile konnte ich genügend Englisch, und deshalb bin ich nach Stellenbosch gegangen, um Afrikaans zu lernen. Das waren noch Zeiten. Der Rhythmus des Alltags damals war sehr streng und engstirnig. Als Studenten im ersten Jahr mussten wir um 19:00 Uhr zuhause sein und uns immer ab- und wieder anmelden. Einmal im Monat durften wir bis um 22:00 Uhr ausbleiben.
Da ich auf die Sprachenschule in Heidelberg wollte und man sich dort persönlich verstellen musste, musste ich das Studium in Stellenbosch im dritten Jahr vorzeitig abbrechen. In Deutschland sagte man mir dann, dass mein Studium in Südafrika nicht anerkannt werden würde. Ich war jung und ungestüm und hatte das Gefühl, zwei Jahre verbummelt zu haben, und so wollte ich mit dem Studium nichts mehr zu tun haben. Stattdessen bin ich auf eine Sprachenschule in Berlin gegangen. Das Studium hätte eigentlich eineinhalb Jahre gedauert, aber ich war der Ansicht, dass ich fließend in Englisch war, und nach langem Kämpfen hat man mir erlaubt, die Prüfung nach nur vier Monaten zu beschreiben, die ich dann auch bestand.
Anschließend bin ich die Schweiz und habe dort bei einem Rechtsanwalt gearbeitet. Damals war alles noch so streng und ich konnte keine Arbeitserlaubnis erhalten. Aber der Rechtsanwalt war ein ganz besonderer Mensch. Ich habe mich auf eine Stelle als Sekretärin beworben, aber beim Vorstellungsgespräch merkte er sehr schnell, dass ich nicht tippen konnte. Da ich aber Geld verdienen musste, hatte er Mitleid mit mir und machte mir das Angebot, dass ich für den nächsten Monat jeden Tag kommen und alte Unterlagen, die neu abgetippt werden mussten, abtippen könne, um so das Tippen zu lernen. Anschließend würde er mir ein Diktat geben, und wenn ich bestünde, könnte ich seine Sekretärin werden. So etwas gibt es heute auch nicht mehr.
Und so bin ich jeden Tag von 8:00 - 18:00 Uhr in sein Büro gegangen. Wir hatten nur eine halbe Stunde Mittag und der Rest wurde gearbeitet. Und nach dem Monat kam die Prüfung, die ich dann auch bestand. Und so wurde ich seine Sekretärin. Das war ein ganz besonderes Arbeitsverhältnis. Er hat sich fast väterlich um mich gekümmert, hat mir Französisch beigebracht und er hat nie geschimpft, auch wenn ich natürlich Fehler gemacht habe.
Ich wollte immer nach Afrika zurück und da sah ich eine Annonce in der Züricher Zeitung. Eine Reisefirma suchte eine Sekretärin/Reiseführerin für das damalige Rhodesien (heute Simbabwe). Und die Sprachkenntnisse Englisch, Deutsch, Französisch und Afrikaans waren verlangt. Das war perfekt und so habe ich mich dort beworben und innerhalb eines Monats hatte ich die Zusage und auf ging es nach Rhodesien. Der Abschied von meinen Chef war sehr schwer; wir haben beide geweint. Dann ging es mit Lux Air mit Stopps in Malta, Kairo und Uganda, wo wir übernachteten und auch Ausflüge machten, nach Salisbury, dem damaligen Harare. Das war eine der wenigen Linien, die so etwas anbot, und es war eine wunderbare Art zu reisen, um sich langsam von der alten Heimat zu trennen und auf die neue Heimat zuzukommen.
Dann habe ich dort im Büro angefangen und einiges an Chaos verursacht. Ich bin einfach kein Büromensch. Ich habe als Telefonist immer die falschen Verbindungen hergestellt oder damals musste man die Gäste noch bis zum Flieger begleiten und einmal habe ich die Gäste in den falschen Flieger gesetzt. Das ging zum Glück noch einmal gut, aber da hätten sie mich beinahe gefeuert. Aber stattdessen haben sie mich an die Viktoria Fälle versetzt.
Da hab ich mich dann wirklich zuhause gefühlt. Das war ein kleines Dorf und man hatte die Natur mit den Elefanten und Löwen um sich herum. Ich habe immer noch für die gleiche Firma gearbeitet und da hat dann auf einmal alles wunderbar geklappt. Es war eine wunderbare Zeit mit vielen Abenteuern. Da habe ich dann auch meinen Mann kennengelernt. Das Dorf hatte damals vielleicht 100 Leute und davon waren um die 60 Junggesellen. Wir waren drei junge Mädchen, die für die Firma dort gearbeitet haben, und wir haben uns prächtig mit den paar andern jungen Frauen im Dorf verstanden. Und es war wie ein Paradies. Wir konnten hier Nein sagen und da Nein sagen. Wir hatten die freie Wahl.
Eines Tages kam ein junger Mann ins Hotelfoyer, wo man sich generell traf, und fragte mich, ob ich mit ihm ein Bier trinken gehen wollte. Ich habe zwei Mal Nein gesagt und beim dritten Mal dachte ich mir, wenn ich jetzt nicht Ja sage, fragt er mich nie wieder. Und so habe ich meinen Mann kennengelernt. Wir sind dann wieder nach Harare gezogen und später nach Kapstadt, wo mein Mann aufgewachsen war.
Dort habe ich dann gearbeitet und durch UNISA mein Sprachstudium abgeschlossen und wurde Lehrerin. Erst habe ich in der Springfield Convent und dann and der Rondebosch Boy’s High School Deutsch, Französisch und Geschichte unterrichtet. Während der Apartheid musste ich meinen Beruf aufgeben, denn verheiratete Lehrerinnen konnten keinen permanenten Posten an einer staatlichen Schule bekommen. Ich musste mich jedes Jahr wieder um meine Stelle bewerben, und sobald ein Junggeselle kam, der mehr Fächer anbieten konnte als ich, musste er die Stelle bekommen. Ich hatte einen tollen Schuldirektor, der Fächer für mich erfunden hat, die ich unterrichten könnte, nur dass ich bleiben konnte. Aber nach fünf Jahren ging es dann nicht mehr. Dann habe ich weiter privat unterrichtet, aber immer nur mit einem Schüler dazusitzen wurde irgendwann langweilig.
Wir sind schon immer viel und gern wandern gegangen und viele Leute haben immer gesagt: „Mensch, ich war noch nicht auf dem Tafelberg.“ Da dachte ich mir, ich biete jetzt Führungen auf den Tafelberg an. So entstand Wanderlust. Und langsam kam das Ganze in Bewegung.
Zu Beginn, das war 1981, habe ich 3-4 Mal Wanderung pro Woche auf den Tafelberg und in Kapstadts Umgebung gemacht, dann kamen Wochenendausflüge und länge Wanderungen in Namibia, Tsitsikamma und auf dem Otter Trail dazu. Den habe ich inzwischen 27 Mal gemacht.
Das waren tolle Zeiten und ich habe viel erlebt, vor allem viele Menschen kennengelernt. Das waren erlebnisreiche Jahre, aber das habe ich dann aufgegeben, weil es zu sehr ins Familienleben einschnitt. Ich war kaum noch zuhause. Mein Mann und mein Sohn haben mir gut geholfen, aber mein Sohn ging noch zur Schule. Er musste aber auch die Butterbrote für meine Gäste schmieren.
Dann habe ich angefangen, Bücher zu schreiben. Kapstadt zu Fuß war mein erstes Buch. Daraufhin hat mich Cape Town Tourism gebeten, Stadtführungen in Kapstadt einzuführen. Das gab es damals nicht - jemanden, der jeden Tag kam und Stadtführungen anbot. Und das mache ich jetzt schon seit über 20 Jahren. Ich habe es mir mal ausgerechnet, dass ich in all den Jahren um die 16.000 km gelaufen bin. Eine Führung ist ungefähr 7-8 km lang. Mit diesen Stadtführungen lebe ich meine große Leidenschaft. Man ist jeden Tag zuhause und trifft immer neue Menschen. Und Menschen, die Stadtführungen mitmachen, sind keine Massentouristen, sondern Menschen, die etwas Besonderes suchen. Die sind an Architektur, Geschichte und Kultur interessiert. Aber ich versuche nicht nur die Kultur zu zeigen, sondern immer die Stadt an sich.
Ich könnte gar nicht sagen, was meine Highlights bei den Führungen waren. Ich hatte immer das Glück, nur nette Menschen gehabt zu haben. Da hat noch nie einer gemurrt oder war unhöflich. Aber die Art der Führung hängt auch ganz davon ab, wo die Menschen herkommen. Skandinavier, zum Beispiel, laufen eher still nebenher. Das sind ganz liebe Menschen, aber sie brauchen etwas länger, bis sie auftauen. Amerikaner hingegen reden gerne.
Jeder Tag bringt etwas anderes. Es passiert so viel, oftmals erinnere ich mich an die unscheinbaren Dinge. Da war ein deutsches Ehepaar, deren Söhne nach Robben Island gefahren sind, um die Geschichte nachzuerleben. Und wir kommen in die St. George Kathedrale und wer kommt hereinspaziert: Desmond Tutu und schüttelte ihnen die Hand. Da hat man Geschichte direkt vor sich stehen. Und neulich, als wir die Demonstrationen hatten, wurde die Führung auch etwas aufregender. Wir mussten dann etwas zickzack durch die Stadt laufen. Als die Demonstranten mit dem Toitoi anfingen, dachten die Gäste zuerst das wäre ein fröhlicher Umzug. Bis ich sie dann aufgeklärt habe und wir schnell das Feld geräumt haben.
Im Durchschnitt habe ich um die 8 Leute pro Wanderungen; manchmal sind es auch 12, aber nie mehr als 15. Das ist auch sehr vom Wetter abhängig. In den letzen Jahren sind die Leute etwas gehfauler geworden. Kann sein, dass es auch an der Angst um ihre Sicherheit liegt, aber bei den Bussen kann auch etwas passieren. Ich mache die Leute auch immer auf die Lage aufmerksam und in all den Jahren ist so gut wie nie etwas passiert. Und mit all dem Sicherheitspersonal, das in der Stadt unterwegs ist, ist es jetzt viel sicherer als je zuvor.“
BÜCHER UND INFOS ZU DEN WANDERUNGEN
Insgesamt hat Ursula 9 Bücher geschrieben, wovon es zwei auch auf Deutsch gibt. Zu kaufen gibt es sie in Buchläden im Kapstädter Raum wie Exclusive oder bei der Buchhandlung Naumann. Auch im botanischen Garten kann man sie erwerben.
Die Führungen finden Montag bis Freitag um 11:00 Uhr und am Samstag um 10:00 Uhr statt. Treffpunkt ist vor der Buchhandlung Naumann gegenüber vom Tourism Bureau in der Burg Street. Die zweieinhalbstündige Tour kostet R200 pro Teilnehmer und Kinder unter 14 Jahren sind kostenlos.
Wer mehr darüber erfahren möchte, schaut auf die Webseite von Wanderlust.
von Alexandra Seiler
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Wer mehr über andere Deutsche in Kapstadt und ihre Erlebnisse erfahren möchte, der kann unter Interviews mehr lesen.
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