Bonteheuwel bei Nacht
Es ist dunkel, es regnet und wir haben keine Ahnung wo wir sind. Der einzige Ausweg: Geschichten erzählen
Hier sitze ich nun, auf meinen Knien ein fünf Jahre altes Mädchen. Es scheint als hätte sich Jody zu unserem Zeremonienmeister ernannt. Nachdem sie zwischen unseren Beinen umher geflitzt ist und alle und jeden über unsere Ankunft informiert hat, hat sie sich brav hingesetzt, um Notizen mit einem Stift zu machen, den sie so gerade mal in ihren kleinen Händen halten kann. Ihr literarisches Spezialgebiet scheinen Kurven und Wirbel zu sein. Als sie bemerkt, dass ich sie beobachte, schaut sie schüchtern auf und entblößt in einem frechen Grinsen ihre Zahnlücken.
“Was steht heut auf der Karte”, frage ich die zierliche kleine Dame. Ihre Familie ist Gastgeber unserer kleinen fünf köpfigen Runde im Rahmen der Coffebeans Routes Storytelling Tour. Sie schaut zum Eingang, wo die offizielle Gastgeberin (ihre Mutter) mit einem dampfenden Eintopf in den Händen steht.
“Lamm”, antwortet sie, plötzlich wieder schüchtern, und wendet sich wieder ihren Notizen zu. Als wenn sie nicht hören würde wie mein Magen knurrt beim Gedanken an dieses köstliche Abendessen.
Wir befinden uns in Bonteheuwel, unter dem Asbest besetztem Dach von Hazel und Sendrico Allies-Husselmann. Wir sind eine gemütliche Runde, in einem bescheidenen Heim mit 12 Gesichtern, die sich teilweise kennen und sich teilweise komplett fremd sind. Was haben jemand aus Liverpool, aus Kapstadt, aus Australien, aus der Slowakei, aus Argentinien und ein verschwenderischer Sohn in einem Township zu suchen, und das auch noch an einem verregneten, gemütlichen Winterabend?
Wir erzählen uns Geschichten, natürlich.
Die erste Geschichte, die auf dem Weg hierher im Minibus erzählt wird, ist sehr farbenfroh.
“Kannst du den Begriff ‘farbig’ erklären?rdquo;, fragt der Australier. Lunga Tyelo, unser Fahrer, Bodyguard und Guide gibt uns einen schnellen Überblick über die Geschichte Südafrikas und darüber, wer vertretbarerweise als Südafrikanisches Volk bezeichnet werden kann. Ich gebe auch noch meinen Senf dazu, fasziniert davon Meinungen darüber auszutauschen, was den genetischen und kulturellen Aufbau von ‘farbig’ ausmacht, vor allem in einer Kultur voller Menschen verschiedenster Herkunft. Wir einigen uns darauf, dass die Unterschiede die uns in unserem Alltag tagtäglich begegnen eher ein Grund zur Freude sind, als zur Besorgnis. Die Familie, die uns heute ihre Gastfreundschaft anbietet, bestätigt uns nur zu gut in unserem Gedanken.
Nachdem wir von der N2 runter gefahren sind, und weiter durch zahlreiche Straßen, die die meisten von uns noch nie befahren haben, kommen wir vom Regen durchnässt und orientierungslos an. Mein (nicht-)angeborener Orientierungsinn schaltet sich ein und ich frage mich, ob ich wohl jemals den Weg nach Hause finden würde.
Wir durchqueren Hazels und Sedricos Vordergarten und lassen uns in ihrem Wohnzimmer nieder. Hier sitzen wir gemütlich aneinander gedrängt zwischen einer stolzen Fernsehvitrine, einem Tisch und dem Hauseingang. Von allen Seiten lachen uns die fröhlichen Gesichter der vielen Familienfotos an. Wir tauschen Namen, Herkunft, und alle möglichen Meinungen aus, vom Wetter bis hin zur Fußballweltmeisterschaft. Spätestens beim Abendessen ist das letzte bisschen Unbehaglichkeit dann verflogen. Einige Zeit später unterhalte ich mich mit Shiree, die auf dem besten Weg ist ein waschechter Teenie zu werden und schon jetzt tausend mal besser mit einem Handy umgehen kann als ich wohl jemals im Stande sein werde. Stolz zeigt sie mir ihre Star-Vampir Bildersammlung und wir reden übers Haare flechten und Extremsportarten.
Ihre Mutter Sally (Hazels Schwester) lehnt sich zu mir rüber und sagt: “Mit ihr wird es bestimmt besonders schwierig werden, sie ist einfach zu clever.”
“Ich hab jetzt mit Skateboarden angefangen”, sagt sie, so als sei es das Natürlichste auf der Welt. Und dann etwas leiser: “ Meine Mom mag das nicht wirklich”.
“Cool!”, entgegne ich ihr, denn ich merke, dass es nichts bringt, zu versuchen einen rebellischen Teenie eines besseren zu belehren. “Sieh zu, dass du Knie- und Ellbogenschoner hast, und einen Helm natürlich”. Wir genehmigen uns eine Portion von dem raffinierten Sago Nachtisch, und eine zweite, eine dritte, und - ehm - vierte. Plötzlich ist es Zeit zu gehen, wir machen noch ein paar Erinnerungsfotos und verschwinden dann in die Nacht auf zu Phila und ihrem Haus in Gugulethu.
Phila ist Poetin, Performerin und PR Beraterin
Phila lebt mit ihrer Gogo (das ist Xhosa und heißt Großmutter) in Gugulethu. Sie eröffnet unsere Runde mit etwas Poesie begleitet von Gitarrenmusik, wobei sich ihre Ruhe auf uns alle überträgt. Eine sensible und reflektierte Person, die uns mit ihrer direkten Poesie gefangen nimmt. Mit klarer und fester Stimme erzählt sie uns von ihrem Leben und ihrer Arbeit. Sie ging zu einer Privatschule, dann zur Uni. Später hat sie sich selbst und ihre Wurzeln in der Kunst wiedergefunden
Nach einigen Ausflügen in die Schauspielerei und die Theaterwelt, ist sie nun für die PR Arbeit im Baxter Theatre zuständig, und lebt ihre Talente gleichzeitig an einem Kunstcenter in Gugulethu aus. Sie erzählt von der Wiederintegration in ihren Heimatort - ein langsames Wiedererwachen, begleitet von Themen wie Hoffnung, Verwirrung und Hingabe. Es ist sehr bewegend jemandem zu begegnen, der so offen und ehrlich über sich selbst redet. Wir tauschen uns über Hip Hop in Xhosa aus und über Identitätsentwicklungen aus. Sie ist wirklich etwas Besonderes, eine gute Seele. Ich hoffe, sie bald mal als Lady P., ihr Künstlername, auf einer Bühne zu sehen und ihren Geschichten zu lauschen.
Nach dem Tee mit ihr fahren wir zurück Richtung Heimat und ich denke über den Abend nach, die Geschichten, die wir geteilt haben. Es scheint, als könne mit Mut, Offenheit, Kunst und Ausdruck immer Sonne in unserem Geist und in unseren Herzen sein. Am Ende haben wir alle eine Geschichte. Und sind froh sie zu teilen.
von Jess Henson
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