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Die Entdeckung des Pinotage
16. November 2017
Als der Pinotage noch gänzlich unbekannt ist, baut das im Westkap gelegene Bellevue als eines der ersten Weingüter überhaupt die südafrikanische Rebsorte an. Die Traube wächst, gedeiht, überzeugt und feiert weltweiten Ruhm, während das Weingut selbst immer mehr in Vergessenheit gerät. Die Geschichte des Pinotages auf Bellevue.
In der Luft liegt der Geschmack roter Erde. Die weiße Häuserwand blendet im hellen Sonnenlicht. Vögel ziehen ihre Kreise über den regelmäßig angeordneten, grünen Weinstöcken. Vor über 150 Jahren beginnt der erste Morkel hier, auf dem Anwesen Bellevue, mitten in den Bottelary Hills nahe Stellenbosch gelegen, eine Familientradition. Vor über 100 Jahren wird auf diesem Gut der Weinanbau etabliert. Vor 64 Jahren schließlich verwurzelt sich hier die bis dato unbekannte Rebsorte Pinotage, um sich eng mit dem Weingut Bellevue zu verflechten. Heute ist Bellevue ein Weingut, das viele Geschichten zu erzählen hat. Von passioniertem Weinanbau und traditionellem Handwerk. Gleichzeitig ist es ein Weingut, dessen Geschichte geschrieben wird. Vom Wandel der Zeit und von wirtschaftlichen Entscheidungen.
Dirkie Morkel ist in vierter Generation der Familie Besitzer des Weingutes Bellevue. Ein Mann, der anpacken kann und einer, der gern erzählt. Er ist durchschnittlich groß, um die sechzig, trägt eine verdunkelte Brille und robuste Kleidung. Anstelle von Eleganz setzt er auf Einfachheit. Geradeheraus spricht Dirkie Morkel davon, dass er erst im Jahre 1999 damit begonnen habe, den angebauten Wein auch selbst abzufüllen – viel zu spät. Dass er zu viel Land bebaue, um die gesamte Ernte selbst zu verarbeiten. Und dass er sich zu spät mit professioneller Vermarktung seines Weines befasst habe. Doch die Geschichte des Weinguts beginnt viel früher.
Es ist das Jahr 1861 als Dirk Cloete Morkel, Sohn eines deutschstämmigen Seefahrers aus Hamburg, das Anwesen Bellevue erwirbt. Schon damals befindet sich dort ein traditionelles afrikaanses Bauernhaus, errichtet 1803, bis heute erhalten, mittlerweile unter Denkmalschutz. Zu den Zeiten Dirk Cloete Morkels, der Schafe und Ziege auf dem Anwesen hält, liegt der Gedanke an gewerbsmäßigen Weinanbau noch fern. Vielleicht wird mit den wenigen Rebstöcken jedoch der erste Keim für die Idee gepflanzt, die zwei Generationen später mit P.K. Morkel, Enkelsohn von Dirk Cloete Morkel, aufblüht: Bellevue wird zum Weingut.
Pinotage ist eine Verkürzung der ursprünglichen Bezeichnung „Perold’s Hermitage x Pinot“
Unterdessen gelingt dem Chemiker Abraham Izak Perold an der Universität Stellenbosch im Jahr 1925 ein Versuch. Er kreuzt den eleganten Pinot Noir mit dem frischen Cinsault, international auch als Hermitage bekannt. So entsteht Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts etwa 50 Kilometer östlich von Kapstadt der heute berühmte Pinotage.
Dass eben diese Rebsorte knapp 30 Jahre später einen Bellevue’schen Nährboden finden soll, ist laut Dirkie Morkel einem Zufall zuzuschreiben. Die von seinem Onkel, Pieter Krige, kurz P.K., Morkel präferierte Rebsorte sei nicht aufbringbar gewesen. Unter diesen Umständen habe sich dieser 1953 davon überzeugen lassen, den bis dahin völlig unbekannten aber immerhin in der Region entwickelten Pinotage anzubauen. „Es war ein Experiment“, fasst Dirkie Morkel zusammen.
Ein Experiment, dass außer Bellevue nur ein weiteres Weingut, nämlich Kanonkop, wagt, das sich jedoch wenige Jahre später als erfolgreich erweist. 1959 wird der Pinotage von P.K. Morkel bei der South African Young Wine Show mit der General Smuts Trophy als bester junger Wein des Jahres ausgezeichnet. Laut Dirkie Morkel ist es dieses Ereignis, das dem Pinotage zu einer ersten Bekanntheit verhilft: „Plötzlich wurden die Leute aufmerksam auf den neuen Wein.“ Etliche Weingüter um Stellenbosch nehmen sich dem neuen Wein an, gedeiht dieser doch im südafrikanischen Klima so gut wie kaum anderswo auf der Welt.
Etwa 20 Jahre später, 1978, beginnt Dirkie Morkel selbst als Weinbauer in Bellevue. „Ich wollte immer guten Wein machen“, erzählt er, während sein Blick über die Weinberge wandert. Braune Erde, die sich fließend zu leichten Hügeln hebt und wieder senkt. Rebstöcke, deren Blätter die Weite in saftiges Grün tauchen. Blauer Himmel, der einen sanften Kontrast zeichnet. Auf rund 152 Hektar Land werden hier noch immer verschiedene Rebsorten angebaut, das Angebot der Bellevue Weine reicht von Sauvignon Blanc über Shiraz bis hin zu Malbec. Doch der Großteil der Ernte wird bis heute verkauft und nicht selbst abgefüllt.
Im Jahr 1999, als auf dem Weingut Bellevue damit begonnen wird, den Wein selbst abzufüllen, haben sich andere Weingüter der Region längst einen Namen gemacht. Dirkie Morkel weiß, dass er zu lange gewartet hat. Er weiß auch, dass einige der bekannten Weingüter seine Ernte kaufen, um den Wein, den sie daraus gewinnen, zu hohen Preisen anzubieten. Außerdem weiß er um die große Bedeutung professioneller Vermarktung. Eine Einsicht, die – auch das weiß er – ihn zu spät ereilt hat.
Heute zählt Bellevue nicht zu den Weingütern, die in aller Munde sind. Obwohl die hervorragende Qualität der Weine ausgezeichnet wird – jüngst mit einer Goldmedaille bei den Veritas Awards, den Branchen-Oscars, für den Sauvignon Blanc 2017. Das traditionsreiche Weingut hat gewissermaßen den Absprung verpasst, um mithalten zu können auf einer Ebene, fernab von der Qualität der Weine.
Hätte Bellevue nicht eigentlich viel mehr Aufmerksamkeit in Südafrikas Wein-Landschaft verdient?
Was ist falsch gelaufen in der wirtschaftlichen Entwicklung des traditionsreichen Weingutes?
Sind gutes Marketing und eine professionelle Präsentation heute wichtiger als gute Weine?
Dirkie Morkel spricht davon, dass im Pinotage eine Note von Vanille und Pflaume zu schmecken sei. Er erklärt, dass in amerikanischer Eiche gereifter Wein eine Süße besitze, wohingegen französische Eiche dem Wein eine elegante, feminine Note verleihe. Er erzählt, dass er immer eine Flasche des PK Morkel 2010 bei sich habe, da es das Blut sei, das in seinen Venen fließe. Während alldem scheint es gar nicht so sicher, ob er sich diese Fragen überhaupt noch stellt. Oder ob er einfach akzeptiert hat, wie weit er mit traditionellem, ehrlichem Handwerk gekommen ist.
Auch das gehört zum Weinland Südafrikas: weniger bekannte Weingüter, die Wein aus Leidenschaft herstellen. Wobei, ganz unbekannt wird Bellevue nie sein, ist es doch gewissermaßen die Wiege der südafrikanischen Nationaltraube Pinotage.
von Mareike Schmid
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