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Wer obdachlos ist, hat es nirgends einfach. Wie die Situation in der Mother City ist und wie du helfen kannst, erfährst du hier.
Paul läuft an der Promenade von Kalk Bay entlang, dem kleinen idyllischen Fischerdorf außerhalb Kapstadts. Wo Touristen in Cafés und Restaurants entspannen und nach ausgefallenen Souveniers suchen, sucht Paul Taliaard nach Essen. Er ist obdachlos und hungrig zu sein, seine tägliche Sorge.
In einem grünen Mülleimer findet er eine kleine Plastiktüte – Essen, denkt er und greift gierig hinein. Doch statt Essensresten klebt Hundekot an seiner Hand. Das war vor fünf Jahren. „Das war mein absoluter Tiefpunkt“, erinnert sich Paul heute.
Er war einer der heute mehr als 4800 Obdachlosen, die laut einer Studie der City of Cape Town aus dem Jahr 2014 auf den Straßen, unter den Brücken, an den Stränden und in den Hauseingängen im Großraum Kapstadt leben. Weitere 2500 leben in Sheltern, in Obdachlosenheimen. Jeder der mehr als 7300 Menschen auf der Straße hat seine eigene Geschichte, alle haben ein Problem: Sie leben unsichtbar in einer Parallelgesellschaft, die emotionale und physische Opfer von Ihren Mitgliedern fordert und sie – einmal eingetreten – nur widerwillig zurück in die Mehrheitsgesellschaft entlässt.
Die Gründe für den Eintritt sind vielfältig: Häusliche Gewalt, Drogenmissbrauch, Arbeitslosigkeit, Beziehungsprobleme oder Migration aus ländlichen Gegenden. „Auf der Straße zu leben, ist schrecklich“, sagt Greg Andrews, Manager der Service Dining Rooms im District Six. „Aber es ist oft doch besser als die Gewalt, der viele entflohen sind.“
Die Mehrheit der Obdachlosen, 79 Prozent, sind Männer, zeigt die Studie der City of Cape Town. 40 Prozent von Ihnen sind zwischen 26 und 35 Jahre alt.
Die Gesichter, die wir nicht sehen
Mohammed ist 30 Jahre alt, verheiratet und hat eine acht Monate alte Tochter. Als Techniker installiert er Alarmanlagen und Elektrozäune, lebt mit seiner Familie in einem Haus in Mitchells Plain. Der Firma seines Chefs geht es immer schlechter, neue Aufträge bleiben aus, Mohammed wird entlassen, kann seine Miete nicht mehr zahlen. Die Arbeitslosigkeit ist sein Ticket in die Parallelgesellschaft. Seit zwei Monaten lebt er mit seiner Frau und Tochter nun im Shelter. „Wir brauchen ungefähr 70 Rand am Tag, um Unterkunft und Essen zu zahlen“, erklärt er. Im Companies Garden verkauft er dafür Schlüsselanhänger für 20 Rand das Stück. Seine Brille mit rot-schwarzem breiten Rahmen und der schwarze Nike Kapuzenpulli erinnern daran, dass er vor nicht allzu langer Zeit einer von uns war. Jetzt ist er obdachlos und somit für die meisten plötzlich unsichtbar.
„Wenn du auf der Straße lebst, gehörst du nicht zur Gesellschaft dazu“, erinnert sich auch Paul. „Niemand schenkt dir einen zweiten Blick, geschweige denn eine zweite Chance. Als ob wir nie ein anderes Leben gehabt hätten, als ob wir so geboren wurden, ohne Würde.“ Jeder kämpft ums nackte Überleben.
Menschliche Anerkennung und Wertschätzung sind auch für Greg der erste Schritt, um das Verhältnis zwischen beiden Gesellschaften zu normalisieren. „Die Entfremdung, die Menschen auf der Straße erleben, ist schwierig“, erklärt er. Für einen Rand bekommt man bei den Service Dining Rooms eine Mahlzeit, eine Dusche und die Möglichkeit an Trainingskursen teilzunehmen. „Es geht nicht darum, besonders nett zu Menschen auf der Straße sein“, sagt Greg. „Sondern darum, sich als Menschen gegenseitig wahrzunehmen und anzuerkennen.“
Viele kommen regelmäßig, nicht alle leben durchgängig auf der Straße: „Einige laufen aus den Townships bis hier in die Stadt, kommen zum Frühstück zu uns, gehen dann auf Arbeitssuche und kommen mittags wieder.”
Vor ungefähr sieben Monaten sind Claudia* (19) und Jessica* (17) unfreiwillig Mitglieder der obdachlosen Parallelgesellschaft geworden. Mit ihrem acht Monate alten Bruder leben die Halbschwestern nun unter einer Brücke in Salt River. Zu Hause in Delft gab es viel Streit, viel Gewalt, ihr Vater setzte sie schließlich vor die Tür. In der Strand Street sitzen die drei nun in Badeschlappen, dicken Socken und Trainingsanzug auf dem Asphalt vor einem Parkhaus und fragen Passanten nach Geld. Irgendetwas sei heute anders, meint Claudia und schaut einer Gruppe Frauen nach, die in traditionellen Kleidern vorbeigehen. Es ist Heritage Day, der Tag an dem die Südafrikaner ihre Vielfalt und ihr kulturelles Erbe feiern. „Heritage Day? Das kenne ich gar nicht“, sagt Claudia verunsichert und zupft verlegen an ihrer Mütze. Feiertage gibt es in ihrer Parallelgesellschaft nicht. Viel wichtiger ist, dass sie von den erbettelten 20 Rand nun Brot, Butter und Polony kaufen kann und die drei heute nicht hungrig schlafen gehen müssen.
Auch Sipho* hat Hunger. Der 24-Jährige schläft zwischen zwei geparkten Autos vor einem Apartmenthaus in Sea Point. Aus einem braunen Karton und einer Plastikplane hat er sich ein Bett gebaut. Sein wertvollster Besitz ist eine kleine Tasche mit Zahnpasta, Schlafbrille und Socken, die ein Reisender im Flugzeug bekommen und dann in den Müll geworfen hat. Am Tag zuvor hat er dem Besitzer des Autos, neben dem er jetzt schläft, beim Reifenwechsel geholfen und so 30 Rand verdient. Sipho lebt erst seit Kurzem auf der Straße. Gewalt und Alkohol haben ihn aus seinem zu Hause in Khayelitsha vertrieben. Das nächste Ziel ist Kokstad im Eastern Cape. Dort lebe seine Mutter mit ihrem neuen Freund. „Da kann ich erstmal wohnen und dann Arbeit finden“, erklärt er. “Mir fehlt nur das Geld für das Busticket.“
Ganz in der Nähe schläft Jason* in einer Sackgasse hinter einem Supermarkt. In einer kleinen, windgeschützten Ecke richtet er sich Abend für Abend ein. Warm ist es dort durch die Lüftung des Supermarkts. Viele Ratten gibt es auch. Seine Ex-Freundin lebe ganz in der Nähe erklärt er, aber zu ihr könne er nicht zurück. Drogen waren Jasons Ticket in die Obdachlosigkeit. Seit mehreren Jahren lebt er auf der Straße, kämpft noch immer gegen seine Sucht. Ein abgelaufener schottischer Reisepass erinnert ihn an ein Leben, das es so für ihn nicht mehr gibt. Den Pass zu verlieren, sei seine größte Sorge. Morgens um 6 Uhr kommen die ersten Warenlieferungen am Supermarkt an. Dann muss er weiterziehen, seine Decke im Gully verstecken, sich den Tag vertreiben, bis er am Abend wiederkommt.
Sea Point gehört laut Studie der City of Cape Town zu den „Problemzonen“, in denen mehr als 50 Obdachlose gezählt wurden. Ähnlich sieht es in der Innenstadt, in Vredehoek, Oranjezicht, Woodstock, Claremont, Wynberg, Bellville, Mitchells Plain, Muizenberg und anderen Stadtteilen aus. Die Studie bestätigt – ganz Kapstadt ist eine „Problemzone“.
Give Responsibly – „One size fits all“ hilft nicht
Weil die Probleme der unsichtbaren Parallelgesellschaft irgendwann doch Auswirkungen auf die Mehrheitsgesellschaft haben, können die einen die anderen nicht für immer ignorieren. Eine Lösung muss her. 43 Prozent der Befragten sagen, dass die ganze Gesellschaft zu dieser Lösung beitragen muss.
Mit der Give Responsibly Kampagne gibt die City of Cape Town der Zivilgesellschaft vor, was zu tun sei: Auf der Straße solle man nie Geld direkt an Obdachlose geben, stattdessen solle man per SMS an die Kampagne spenden, die dann das Geld an ihre sechs Partner-NGOs und Shelter weiterverteilt. Geld direkt an Obdachlose zu geben, stille den Hunger nur kurzfristig, löse das Problem aber langfristig nicht.
Die Mehrheit hält sich laut Studie der Stadt an diesen Rat und gibt auf der Straße kein Geld an Obdachlose. Den zweiten Rat, über die Kampagne zu spenden statt auf der Straße zu geben, befolgen jedoch nur wenige: 38.000 und 36.000 Rand (ca. 2500 und 2400 Euro) spendeten Kapstädter in den vergangenen beiden Haushaltsjahren. an Give Responsibly, bestätigt Pat Eddy, Social Development Managerin beim Cape Town Central City Improvement District (CCID).
Den wahren Wert der Kampagne sieht Pat Eddy daher auch in der gesteigerten Aufmerksamkeit, die Give Responsibly in der Bevölkerung bewirke.
Hassan Khan, CEO der Haven Night Shelter, befürwortet die Kampagne, sagt aber auch: „Wir müssen gesunden Menschenverstand benutzen, wenn es darum geht, Menschen in Not zu helfen. One size fits all hilft nicht.“ Statt Geld, könne man über die Haven Night Shelter Gutscheine für einen Shelter-Aufenthalt kaufen und diese an Obdachlose geben. Menschliche Anerkennung ist auch für ihn ein Thema: „Sieh den Menschen, sprich mit dem Menschen!“
Nach 14 Jahren auf der Straße
Dass ein Wiedereintritt in die Mehrheitsgesellschaft möglich ist, beweist Paul. 14 Jahre lebte der ehemalige Feuerwehrmann auf der Straße. Für den heute 51-Jährigen war sein Erlebnis am Strand von Kalk Bay ein Schlüsselmoment. „Am selben Tag bin ich zu einem Mitarbeiter in der Suppenküche gegangen und habe um Hilfe gebeten.“ Nach einem erfolgreichen Drogenentzug startet Paul eine Selsbthilfe- und Motivationsgruppe für Männer. „Irgendwann waren wir fast 50 Männer in der Gruppe. Ich musste mir etwas einfallen lassen, wie ich die Männer sinnvoll beschäftige.“ Nur vier Monate nach seinem Erlebnis am Strand gründet er die NGO Hands of Honour, ein social enterprise, das heute neun Menschen beschäftigt, die Schrott und Abfall zu Gartenmöbeln upcyceln. Geld an Obdachlose zu geben, hält auch Paul für oft nicht den richtigen Weg: „Es muss jeder selbst entscheiden. Aber ich denke, vor allem Touristen sollten eher Essen kaufen als Geld geben, lieber an einen guten Zweck spenden und diejenigen unterstützen, die Menschen helfen, zurück in die Mehrheitsgesellschaft zu gelangen.“
Sein Beispiel zeigt, dass der Weg in die Unsichtbarkeit kurz und schmerzhaft ist, der Weg zurück schwierig, aber möglich.
von Ann-Kristina Rönchen
*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.
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